Kai Schreiber

Autor | Neurowissenschaftler | Sänger

Hazy Osterwald Sextett: Kriminal-Tango (1959)

Der Mann ist ein Mörder


Meine Damen und Herren, ich beantrage hiermit nicht mehr und nicht weniger als die Neubewertung einer fast schon historisch zu nennenden Begebenheit. Die Geschichtsbücher werden umgeschrieben werden müssen, wenn ich recht behalte, und Sie werden mir, wenn Sie mich gehört haben, zweifellos zustimmen, daß in der Tat keine andere Wahl bleibt.

Worum geht es? Nun, im Jahre 1959 erschien das Musikstück "Kriminal-Tango" des Hazy Osterwald Sextetts unter der Leitung von Rolf E. "Hazy" Osterwald und wurde ein großer Hit. Dieses Musikstück erzählte, unterlegt mit effektvoller, dramatischer Tangomusik, die Geschichte von "Jacky Brown und Baby Miller", die "in der Taverne" einen Tango tanzen, wobei Aufregendes geschieht. Zunächst sagt Jack "ihr leise, ‘Baby, wenn ich austrink machst du dicht.’ Dann bestellt er zwei Manhattan, und dann kommt ein Herr mit Kneifer. Jack trinkt aus und Baby zittert, doch dann löscht sie schnell das Licht." Glühende Blicke heizen nun eine steigende Spannung an, bis in diese Spannung hinein ein Schuß fällt, der dem Herrn mit Kneifer galt. Der sagt folgerichtig nichts mehr, "nein, der Herr der sagt nichts mehr", und man schließt natürlich: der Herr mit Kneifer ist erschossen, und Jack ist der Täter. Man erfährt noch, daß die Kripo ratlos ist und "nichts finden" kann, "was daran", i.e. am Tangotanzen der vermeintlichen Täter Jack und Baby, "verdächtig wär", und daß die anderen Tänzer "nicht wissen" können, "was da zwischen Tag und Morgen, in der nächtlichen Taverne, bei dem Tango schon geschah".

Das perfekte Verbrechen also, und Jack Brown der triumphierende, teuflische Täter? Das machte Rolf E. "Hazy" Osterwald 1959 die deutsche Öffentlichkeit glauben, doch bei näherem Hinsehen ist das alles längst nicht so eindeutig, wie ein Schuldspruch es verlangte.

Warum zum Beispiel können die anderen Tänzer von dem, was da vorging, nichts wissen? Immerhin wurde doch das Licht gelöscht und es fiel ein Schuß, so etwas muß doch auffallen, man hätte doch etwas merken müssen? Die einzig mögliche Erklärung dafür ist, daß die anderen Tänzer gar nicht in der Taverne, sondern ganz woanders tanzten. Dann wissen sie natürlich nichts, und es klärt sich auch noch eine ganz andere Unstimmigkeit, nämlich die, daß Jack zu Baby sagt, sie solle "dichtmachen", wenn er ausgetrunken habe, nicht aber, sie solle das Licht löschen. "Dichtmachen" heißt aber Schließen, und man schließt doch keine Gaststätte, während Tango getanzt wird. Kein Wunder: man tanzt ja anderswo, die Tänzer jedenfalls haben ein einwandfreies Alibi.

Die Taverne ist also leer, als der Herr mit dem Kneifer kommt und das Licht gelöscht wird. Das sieht aus, als habe Jack auf ihn gewartet, doch was der saubere Osterwald als Schuldbeweis deutet, hat eine ganz profane Erklärung: der Herr mit Kneifer ist Nachtwächter und soll die Taverne hüten, während die Wirtsleute, Jack und Baby, anderen, gleich noch zu klärenden Verrichtungen nachgehen. In einem Viertel, in dem rote Laternen leuchten, mag das Beschäftigen eines Nachtwächters durchaus notwendig sein.

Im Stück ist weiter die Rede von "glühende[n] Blicke[n]" und "steigender Spannung", in die dann der Schuß falle, der aber doch im Dunkeln fällt. Glühende Blicke im Dunkeln?

Auch diese Eigentümlichkeit läßt sich leicht auflösen, "der Schuß im Dunkeln" bedingt ja förmlich, daß die Blicke, wo es heller ist, glühen und die Spannung steigen lassen, freilich muß es in Hörweite sein, denn "in die Spannung, da fällt ein Schuß". Es ist nunmehr nicht schwer zu erraten, was sich abgespielt hat: Jack und Baby ziehen sich, er hat sich mit zwei Manhattan Mut angetrunken, in einen Nebenraum der Taverne zurück, um glühblick- und spannungsträchtig zu Werke zu gehen. Derweil sitzt der Herr mit Kneifer im Dunkel im Schankraum, wacht über die beiden und wird leider erschossen.

Warum aber sollte uns Rolf E. "Hazy" Osterwald Jack Brown als Täter andrehen wollen, obwohl der doch, ebenso wie alle Tänzer, ein Alibi für die Tatzeit hat? Die Antwort ist ebenso einfach wie verblüffend: weil Osterwald selbst der Täter war.

Über die Motive freilich können wir nur spekulieren: vielleicht hatte Osterwald, beim Tanz in der Taverne, Zuneigung zu Baby gefaßt (die einfühlsame, fast ritterliche Beschreibung ihres Zitterns vor dem Gang ins Nebenzimmer deutet darauf hin) und versucht, sich ihr zu nähern, wurde jedoch von Jack, womöglich gewaltsam, abgefertigt. Eines Tages nun kehrt Hazy spät nachts in die Taverne zurück. Er hat seine Reservistenpistole dabei (Osterwald ist Schweizer, und nahezu alle Schweizer sind Reservisten und besitzen daher eine Pistole) und will Jack, den er als leidiges Hindernis auf dem Weg zu seinem Glück empfindet, aus dem Weg räumen. Doch leider trifft er auf den unglücklichen Nachtwächter, den er im Dunkeln versehentlich erschießt. Hazy flieht und beschließt, aus seiner Not eine Tugend zu machen: ohne zu lügen verdreht er die Tatsachen so, daß Jack als der Mörder erscheinen muß und macht obendrein kräftig Gewinn mit dem Stück.

War es nicht so, Herr Osterwald? Dreimal pfui über Sie. Dabei ist es so ein gutes Stück.